Bernd Liepold-Mosser, Intendant des Klagenfurt Festivals 2022, im Interview.
Von Melanie Kuehs
Sie sind Intendant des Klagenfurt Festivals, das heuer seine zweite Auflage feiert. Was dürfen sich die Besucher erwarten und welchen Anspruch stellen Sie persönlich ans Festival?
Mit dem Klagenfurt Festival möchte ich Projekte aus Theater, Tanz, Performance und Musik nach Klagenfurt bringen, die es hier so noch nicht gibt. Man soll deutlich spüren, dass Kärnten keineswegs den Anschluss an die Strömungen in den Metropolen versäumt. Es gib große Namen und aufregenden Projekten, die neue Perspektiven bringen und kombiniert mit der heimischen Szene einen bereichernden und innovativen Austausch ermöglichen. Der Zweck ist, das kulturelle, zeitgenössische Leben zu beleben.
Abgesehen davon - worauf sind Sie beim Klagenfurt Festival besonders stolz?
Kärnten hat ja den Nimbus des Urlaubslandes, wo nicht sehr viel Aufregendes passiert. Wir wollen zusätzlich zur Freizeitqualität, die das Land bietet, noch eine zeitgenössische und moderne kulturelle Note hinzufügen. Das Festival repräsentiert Urbanität, Vielfalt und Zukunftsoffenheit, und wir wollen im Prozess der Modernisierung bewusst einen Beitrag leisten. Man kann mit einem Festival nicht die Gesellschaft ändern, aber man kann durchaus bestehende Tendenzen verstärken, indem man einen neuen und nicht verstaubten Kulturbegriff vermittelt. Probleme wie den Brain-Drain kann man nicht durch Kultur stoppen, aber dennoch ist ein zeitgenössisches und spannendes Angebot ein Faktor. Ich möchte Themen und Formen nach Klagenfurt bringen, die man sonst eigentlich in den Metropolen verortet.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Organisation?
Ein Festival ist immer ein Abenteuer, aber man lernt von Tag zu Tag dazu. Meine größte Sorge ist das Wetter, weil unsere Hauptspielstätte ja Open-Air ist. Ich hoffe, dass wir auch heuer wieder so ein Glück wie im letzten Jahr haben. Aber wir sind auch für Schlechtwetter gewappnet, und sollte es wirklich nass oder kalt werden, so liegen Regencapes und Decken bereit. Entscheidend ist es, die Motivation und die Freude des gesamten Teams zu erhalten, weil es während der Festivalzeit bis an die Grenzen der Belastbarkeit geht. Aber vielleicht muss das so sein, ich kenne das auch von der eigenen Theaterarbeit. Die Wochen vor und während des Festivals sind ein absoluter Ausnahmezustand, was auch den Spirit eines Festivals ausmacht. Denn Festival ist immer auch ein bisschen Festival-Fieber, und ich hoffe, dass das Publikum das auch heuer deutlich spüren wird.
Sie haben vergangenes und dieses Jahr schon viele bekannte Künstler eingeladen – aber welche nationalen oder internationalen Künstler hätten Sie gerne noch beim Festival?
Ich selbst bin Regisseur, arbeite mehrere Monate im Jahr auswärts, und bin froh, dass ich meine Erfahrungen und Kontakte hier in Klagenfurt einbringen kann. Natürlich hat man seine Wunschliste, die man in den nächsten Jahren umsetzen möchte. Aber letztendlich geht es nicht um Namen, sondern um die Qualität der Projekte. Je mehr Innovation und Überraschung ich für ein breiteres Publikum umsetzen kann, umso besser. Da gehören auch die Koproduktionen mit der freien Szene dazu, heuer mit „teatro zumbayllu“, „Theater Vada“, dem Performancekünstler Stefan Ebner, der Blues Band „Supercharge“, der Stadttänzerin Karin Pauer und natürlich dem Tastengroßmeister Tonč Feinig und dem Shooting-Star Oscar Haag, die bei der Eröffnung am Neuen Platz spielen werden. Nicht zu vergessen meine künstlerischen Freunde Herwig Zamernik alias „Fuzzman“ und Oliver Welter, die beide im Rahmen des Festivals ihre ehemalige Heimat beehren werden.
Sie haben erwähnt, Sie sind selbst Regisseur und im Ausland tätig, aber Sie verfassen auch Drehbücher, haben zahlreiche Veröffentlichungen, schreiben Theaterstücke und sind Lehrbeauftragter an der Universität Klagenfurt. Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut?
Es braucht alles Zeit und es braucht alles Freude. Natürlich geht man manchmal an die Grenzen, aber grundsätzlich ist es für mich so, dass Leben und Schaffen nicht zu trennen sind. Und, dass diese Bereiche sehr stark miteinander kommunizieren. Es gibt mir auch eine Unabhängigkeit und die Möglichkeit, meine Neugierde wach zu halten und immer wieder neue Dinge zu erproben.
Sie sprechen häufig von neuen Formen und Innovation, warum?
Das Theater und die Bühnenkünste dürfen nicht langweilen und zum Museum werden. Leider wird der Lust an der Innovation, der Freude am Experiment im Stadttheater-Betrieb viel zu wenig Platz eingeräumt. Der Theater-Kanon ist ja ausschließlich von Interesse, wenn die Auseinandersetzung mit ihm etwas für unser Verständnis der Gegenwart beiträgt. Häufig wird vergessen, dass die Klassiker, mit denen wir uns beschäftigen, zu ihrer Zeit irritierend und provokant und oft auch unverstanden waren. Insofern begreife ich mich als Theatermacher als radikal zeitgenössisch. Alles andere ist eigentlich Zeit- und Geldverschwendung.
Welche Kulturveranstaltung:
Jonathan Meeses „KAMPF-L.O.L.I.T.A (Evolution ist Chef)“. Ein großartiger Performance-Ritt am Rande des Chaos. Hohes Risiko zwischen Kunst und Politik.
Welches Buch:
„Vernichten“, der aktuelle Roman von Michel Houellebecq. Seine Romane sind für mich Pflichtlektüre. Die beste literarische Zeitdiagnose.
Lieblingskünstler:
Lou Reed. Seit ich vor 38 Jahren zum ersten Mal seine Platte „Transformer“ und die Musik der „Velvet Underground“ gehört habe. Mein Tipp: das Konzeptalbum „Berlin“ aus dem Jahr 1973. Tiefgründig, herzzerreißend.
Welches Event nicht versäumen:
Ich möchte es unbedingt zu einigen Projekten der „Wiener Festwochen“ schaffen. Unbedingt schaffen möchte ich auch noch „humanistää!“ am Wiener Volkstheater.
Was bedeutet Kultur/Kunst:
Kunst ist die schönste Form der menschlichen Mitteilung. Ich bin immer auf der Suche nach neuen künstlerischen Erfahrungen. Kunst als Nachahmung und Reproduktion enttäuscht und langweilt mich. Kunst, Beziehungen, Liebe machen.unsere Existenz lebenswert.
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