Die Programmgestaltung eines Kulturbetriebs war in den vergangenen zwei Jahren extrem herausfordernd. Haben Sie noch einen Überblick darüber, wie viele Konzerte Sie in den vergangenen 25 Monaten absagen oder verschieben mussten?
Michael Nemeth: Corona hat uns die längste Pause in der 208-jährigen Geschichte des Musikvereins beschert. Das ist ein trauriger Rückblick, wenn man bedenkt, dass wir während dieser Zeit mit zwei Weltkriegen vor der Haustür auch schwerwiegendere Probleme gehabt haben, die aber wesentlich kürzere Spielpausen mit sich gebracht haben. Die längste Pause diesmal war von November 2020 bis Mai 2021. Da ging es nur darum, Konzerte zu verschieben, Ersatztermine zu finden, wdas Publikum zu informieren. Insgesamt mussten wir mindestens 20 Projekte verschieben, einige davon konnten wir bereits nachholen.
Nun sind die Konzerte im Musikverein darüber hinaus auch betont international besetzt. Auch viele russische KünstlerInnen treten bei Ihnen auf. Hat der Krieg in der Ukraine die Programmplanung zusätzlich erschwert?
Man sollte da keinen Keil in die Musikwelt treiben. Nicht jeder oder jede, der/die in Russland geboren ist, darf aus der Konzertliste verbannt werden. Das betrifft auch Werke der russischen Konzertliteratur. Wir haben also bis dato keinen Grund gesehen, irgendjemanden nicht auftreten zu lassen. Grigori Sokolov, der bei uns im April aufgetreten ist, hat seine gesamte Gage an „Nachbar in Not“ gespendet. Eine Aufgabe der Kunst ist es ja auch, Brücken zu bauen und nicht Welten zu trennen. Und eine erfreuliche Programmerweiterung hat uns diew schreckliche Situation immerhin beschert: Der ukrainische Komponist und Cellist Zoltan Almashi hat anlässlich des russischen Angriffs auf Mariupol ein Werk für Streicher mit dem Titel „Maria’s City“ geschrieben, das am 20. Juni im Stefaniensaal uraufgeführt wird.
Viele heimischen Kulturbetriebe schreiben sich bei ihrer Programmgestaltung ein jeweils neues saisonales Motto aufs Programmheft oder auf die Website. Beim Musikverein war das in der Vergangenheit nicht der Fall, bzw. kommt der Claim leiser und allgemeiner rüber. Heuer ist das Motto „Begegnungen“, aber auch dieses wird nicht in die große Auslage gestellt. Halten Sie Programm-Mottos für kindisch oder obsolet?
Unser Motto sind die Künstler und die Vielfalt im Programm. Natürlich braucht es eine dramaturgische Idee bei der Planung einer Saison. Es ist eine Interaktion zwischen uns und den KünstlerInnen. In den nächsten drei Saisonen wird es zum Beispiel einen Haydn- und einen Arnold-Schönberg- Schwerpunkt geben.
Der Musikverein fährt – naturgemäß – ein vorwiegend klassisches Programm. Mit jüngeren KünstlerInnen, dem Podium für junge Talente und nicht zuletzt mit der 2008 eingeführten Reihe Amabile will man auch jüngere Besucher in den Musikverein bringen. Gelingt das?
Als ich hier begonnen habe vor 14 Jahren, haben wir pro Semester eine Studienkarte verkauft, mittlerweile sind es über 1000. Wir haben die Tore weit geöffnet Richtung Familienkonzerte, es gibt reduzierte Jugendkarten. Je jünger die auftretenden KünstlerInnen sind, desto jünger ist auch das Publikum, das zuschaut. Das hängt auch mit der Social-Media-Arbeit der KünstlerInnen zusammen. Man darf nicht den Fehler begehen zu glauben, das Musikverein-Publikum wären nur Klassik-Fans.
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